Wer bin ich?

Wer bin ich? Sie sagen mir oft,
ich trete aus meiner Zelle
gelassen und heiter und fest
wie ein Gutsherr aus seinem Schloss.
Wer bin ich? Sie sagen mir oft,
ich spräche mit meinen Bewachern
frei und freundlich und klar,
als hätte ich zu gebieten.
Wer bin ich? Sie sagen mir auch,
ich trüge die Tage des Unglücks
gleichmütig, lächelnd und stolz,
wie einer, der siegen gewohnt ist.
Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen?
Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß?
Unruhig, sehnsüchtig, krank, wie ein Vogel im Käfig,
ringend nach Lebensatem, als würgte mir einer die Kehle,
hungernd nach Farben, nach Blumen, nach Vogelstimmen,
dürstend nach guten Worten, nach menschlicher Nähe,
zitternd vor Zorn über Willkür und kleinlichste Kränkung,
umgetrieben vom Warten auf große Dinge,
ohnmächtig bangend um Freunde in endloser Ferne,
müde und leer zum Beten, zum Denken, zum Schaffen,
matt und bereit, von allem Abschied zu nehmen?
Wer bin ich? Der oder jener?
Bin ich denn heute dieser und morgen ein andrer?
Bin ich beides zugleich? Vor Menschen ein Heuchler
und vor mir selbst ein verächtlich wehleidiger Schwächling?
Oder gleicht, was in mir noch ist, dem geschlagenen Heer,
das in Unordnung weicht vor schon gewonnenem Sieg?
Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott.
Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott!

Dieses Gedicht schrieb Dietrich Bonhoeffer im Militärgefängnis Berlin-Tegel und legte es einemBrief an seinen Freund Eberhard Bethge am 8. Juli 1944 bei. Es ist abgedruckt in DietrichBonhoeffer, Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft. Hrg. von E. Bethge u.a. (Bd. 8 der Werkausgabe) Ed. Kaiser im Gütersloher Verlagshaus Gütersloh 1998, S. 513f

Die richtige Seite sehen

Die richtige Seite sehen

Das Leben ist ein Stückchen Zeit, wo Faden sich an Faden reiht.
Die Fäden laufen kreuz und quer, man sieht kein rechtes Muster mehr.
Doch droben werden wir`s verstehen, wenn wir die rechte Seite sehen.
Einst werden wir im Licht erkennen, was hier auf Erden finster war;
das wundervoll und heilig nennen, was hier auf Erden uns geschah.
Dann Sehen wir voll Preis und Dank die Schickung im Zusammenhang.

Corrie Ten Boom

Ein kleines Licht

Ein kleines Licht

Es war einmal ein kleiner Baumwollfaden, der hatte Angst, dass es nicht ausreicht, so, wie er war: „ Für ein Schiffstau bin ich viel zu schwach“, sagte er sich, „und für einen Pullover zu kurz. An andere anzuknüpfen, habe ich viel zu viele Hemmungen. Für eine Stickerei eigne ich mich auch nicht, dazu bin ich zu blass und farblos. Ja, wenn ich aus Lurex wäre, dann könnte ich eine Stola verzieren oder ein Kleid. Aber so?! Es reicht nicht! Was kann ich schon? Niemand braucht mich. Niemand mag mich – und ich mich selbst am wenigsten.“ So sprach der kleine Baumwollfaden, legte traurige Musik auf und fühlte ich ganz niedergeschlagen in seinem Selbstmitleid.

Währenddessen läuft draußen in der kalten Nacht ein Klümpchen Wachs in der beängstigenden Dunkelheit verzweifelt umher. „Für eine dicke Weihnachtskerze bin ich viel zu klein“, jammerte es. „Und wärmen kann ich kleines Ding alleine auch niemanden. Um Schmuck für eine tolle große Kerze zu sein, bin ich zu langweilig. Ach was soll ich denn nur tun, so alleine in der Dunkelheit?“ Da kommt das kleine Klümpchen Wachs am Häuschen des Baumwollfadens vorbei! Und da es so sehr fror und seine Angst so riesig war, klopfte es schüchtern an die Türe. Als es den niedergeschlagenen kleinen Baumwollfaden sah, kam ihm ein wunderschöner Gedanke. Eifrig sagte das Wachs: „Lass dich doch nicht so hängen, du Baumwollfaden. Ich hab‘ da so eine Idee! Wir beide tun uns zusammen. Für eine große Weihnachts-kerze bist du zwar als Docht zu kurz und ich habe dafür nicht genug Wachs, aber für ein Teelicht reicht es allemal. Es ist doch viel besser, ein kleines Licht anzuzünden, als immer nur über die Dunkelheit zu jammern!“ Ein kleines Lächeln huschte über das Gesicht des Baumwollfadens und er wurde plötzlich ganz glücklich. Er tat sich mit dem Klümpchen Wachs zusammen und sagte:“Nun hat mein Dasein doch einen Sinn.“

Wer weiß, vielleicht gibt es in der Welt
noch mehr kurze Baumwollfäden und
kleine Wachsklümpchen, die sich
zusammentun könnten, um der Welt
zu leuchten?!

Gefühlsfunktion

Gefühlsfunktion

Gefühle sind wie ein Wecker, erst wenn wir sie zur Kenntnis nehmen, stellen sie ihren Alarm ein.“

Gefühle haben Signalfunktion:
„Wenn wir ein Gefühl zulassen, es akzeptieren, es uns erlauben und dem Gefühl erst einmal Raum geben, dann hat das Gehirn die Chance, die Information, die in diesem Gefühl liegt, zu integrieren, und dann hat dieses Gefühl seine Signalfunktion erfüllt und kann gehemmt werden.“ Matthias Berking Psychologieprofessor und Emotionsforscher